
Wie sich die einzelnen Sinne entwickeln.
Wie im Artikel über die Entwicklung des gesamten Gehirns erwähnt, ist unser Organismus nicht so programmiert, dass er sich automatisch nach einem vorgegebenen Plan entwickelt. Ganz im Gegenteil: Er ist äußerst plastisch und entwickelt sich in Richtung der durch die Umgebung vorgegebenen Impulse. Ähnlich verhält es sich mit der Entwicklung der Sinne. Auch diese reifen heran, jedoch hängen Tempo und Ausmaß ihrer Entwicklung von der ihnen zugeführten Stimulation ab. Im Folgenden werden alle Sinne kurz besprochen, nicht so sehr hinsichtlich der Mechanik ihrer Entwicklung, sondern in Bezug auf den Bedarf an spezifischer Stimulation.
Einer der von uns als wichtigsten angesehenen Sinne ist das Sehen. Fast jeder weiß, dass es bei der Geburt stark eingeschränkt ist und das Kind nur auffällige Gegenstände in geringer Entfernung wahrnehmen kann. Weniger bekannt ist jedoch, dass die Dauer dieser Einschränkung stark davon abhängt, wie oft und worauf das Kind schaut. Wenn wir ein Neugeborenes mit hellen, pastellfarbenen Tönen umgeben und sein Sichtfeld durch einen Baldachin über dem Bettchen stark einschränken, wird die Entwicklung seiner visuellen Rinde (die für das schlechte Sehvermögen von Säuglingen verantwortlich ist und nicht die Augen selbst) nahezu blockiert.
Um die Entwicklung des Sehsinns zu stimulieren, muss das Kind die Möglichkeit haben, die Welt zu betrachten – nicht ein sich drehendes Mobile, das oft einerseits bunt (und somit schwer erkennbar) und andererseits beweglich ist, wodurch das Baby den Blick nicht darauf fixieren kann. Es ist daher hauptsächlich eine Quelle der Frustration.
Kinder lieben es, zwei Arten von Objekten anzusehen:
1. Menschliche Gesichter, die sie von Geburt an erkennen. Dadurch lernen sie, Emotionen zu unterscheiden und Bindungen zur Mutter aufzubauen – entscheidend für die Entwicklung einer sicheren Bindung.
2. Hochkontrastive Muster: Optimal sind weiß-rot oder schwarz-weiß. Solche Muster sollten die Umgebung des Neugeborenen prägen. Sie stimulieren den Sehsinn unaufdringlich (das Kind kann wegschauen oder die Augen schließen) und fördern die Konzentration. Als einzige klare Objekte in der Umgebung ziehen sie natürlicherweise die Aufmerksamkeit auf sich.
Die Doman-Methode, die ab der Geburt angewendet wird, beginnt ebenfalls mit der visuellen Stimulation, bei der dem Kind Karten mit roten Aufdrucken gezeigt werden. Ziel ist es, die Reifung des Sehsinns zu fördern. Diese Methode ist effektiv und zugleich angenehm – sowohl für das Kind, für das diese Stimulation eine Art Unterhaltung darstellt, als auch für die Eltern, die täglich die Fortschritte in der Entwicklung des Sehsinns ihres Kindes beobachten können.
Das Hören ist ein Sinn, der ab etwa dem sechsten Schwangerschaftsmonat stimuliert wird. Wenn das Kind geboren wird, ist dieser Sinn daher bereits relativ gut entwickelt. Dadurch weiß das Kind schon bei der Geburt, was ihm gefällt – nämlich das, was es kennt. Beruhigend wirken auf das Neugeborene der Klang des mütterlichen Herzschlags, ihre Stimme und auch das Lieblingslied der Mutter, das sie wochenlang im Kopf hatte und das das Kind dutzende Male gehört hat. Es mag jedoch keine Stille, da diese für es unnatürlich und unangenehm ist – etwas Fremdes, das es bisher nicht erlebt hat. Die frühe Kindheit ist eine Zeit, in der fast alles, was ein Kind hört, für es interessant erscheint (es sei denn, es handelt sich um offensichtlich aversive Reize – zu laut, zu hoch oder deutlich negativ emotional geprägt). Das, was es oft hört, beginnt ihm zu gefallen. Die Stimulation des Gehörsinns besteht daher ausschließlich darin, das Kind verschiedenen, an seine Fähigkeiten angepassten Geräuschen auszusetzen – angefangen von Klopfen, Rascheln und Tropfen bis hin zur Musik.
Eine wichtige Anmerkung für Eltern: Es ist nicht wahr, dass Kinder nur Musik mögen, die speziell für sie gemacht ist. Sie haben gelernt, sie zu mögen. Ebenso können sie jeden anderen Musikstil lieben lernen – von Klassik bis Heavy Metal –, solange sie ihn hören. Dies schadet ihrer Entwicklung nicht und wirkt sicherlich besser als vereinfachte „Schlumpfen-Hits“ oder ähnliche primitive Kreationen. Eine Ausnahme ist Techno-Musik, die Kleinkinder nicht hören sollten, da sie den Herzschlag stark beschleunigen und sogar lebensbedrohlich werden kann.
Geruchs- und Geschmackssinn
Obwohl diese Sinne heute als sekundär gelten, hängt ihre Entwicklung bei der Geburt von der Ernährung der Schwangeren ab. Wenn ihre Mahlzeiten vielfältige, intensive Aromen und Gewürze enthalten, gelangen Duftmoleküle in das Fruchtwasser, das das Kind ständig schluckt. So gewöhnt es sich an diese Geschmäcker. Ein an Knoblauch im Fruchtwasser gewöhntes Kind wird ihn später in Muttermilch oder Essen nicht meiden.
In den ersten Lebenstagen ist der Geruchssinn jedoch entscheidend für das Sicherheitsgefühl. Neugeborene erkennen den Geruch der Mutter (Kinder haben einen besseren Geruchssinn als Erwachsene, da die Riechzellen ab der Geburt abnehmen und nicht ersetzt werden) und beruhigen sich durch ihre Nähe – sie ist Quelle von Nahrung, Pflege und Stimulation.
Gleichgewichtssinn
Dieser oft unterschätzte Sinn ist für die motorische und geistige Entwicklung zentral. Gut stimulierte Kinder krabbeln, laufen und orientieren sich früher, haben bessere Konzentration und Sprachfähigkeiten. Der Gleichgewichtssinn verlangt nach Schaukeln, Tragen, Hüpfen oder Spielen auf der Wippe – keine Manipulation, sondern ein instinktives Bedürfnis zur Gehirnentwicklung.
Tastsinn
Berührung ist überlebenswichtig. Frühgeborene profitieren vom Känguruhen (Haut-zu-Haut-Kontakt), das Wärme, Sicherheit und Stimulation bietet. Regelmäßiges Massieren und Halten macht Kinder nicht nur entspannter, sondern auch infektionsresistenter und fördert körperliche und geistige Entwicklung.
Allgemeine Hinweise
• Altersgerechte Dosierung: Je jünger das Kind, desto kürzer die Stimulationsphasen und fokussierter auf einen Sinn.
• Indikator für Erfolg: Das Lächeln des Kindes zeigt, ob die Methode passt.
Zusammenfassung: Jeder Sinn entwickelt sich unterschiedlich schnell, aber alle brauchen maßvolle, gezielte Stimulation – vom Kontrastmobilé bis zur Schmuseeinheit. Vertrauen Sie dem Instinkt Ihres Kindes!